Schüler und Schüler

   

Wilhelm Busch und Max und Moritz

 

 

 

Unser Vorwort: Nicht lernen wollen und Nichtwollen lernen

Der deutsche Schriftsteller und Karikaturist Wilhelm Busch war ein gebildeter Mann. Wenn man ihn so betrachtet, kann man verstehen, welchen doppelten Sinn das Wort "Witz" haben kann. Das Wort bedeutet sowohl Sinn als auch Humor - Ernst und Spaß sind eins. Und Spaß muss man erst mal verstehen - und so manchem Spaß versteht nicht jeder. Denn machmal steht einem nicht der Sinn danach.
Der Wilhelm Busch verstand sehr viel. Er las auch Bücher von Arthur Schopenhauer und Immanuel Kant. In einem Brief aus dem Jahr 1875 an die holländische Schriftstellerin Maria Anderson machte er über Kant eine kurze Bemerkung, die uns aufmerksam werden lässt. Diese kurze Bemerkung bezieht sich auf die Formen der Anschauung Raum und Zeit und auf die Mathematik - und auf das Staunen. Bei Kant spricht er von Unwiderstehlichkeit, danach bei Schopenhauer von Mitleid. Bei Kant spricht er vom freien Willen, bei Schopenhauer vom Willen zum Leben, und überhaupt vom "Nichtwollen". Es scheint, als wusste Wilhelm Busch sehr wohl, wie es um den Sinn im mehr und mehr jenseits orientierten Deutschland stand.

Kant - der Chinese von Königsberg (mit Studierzimmer nach Osten) - setzte sich mit asiatischer Literatur nicht besonders auseinander Er hatte zeitgenössische Literatur über China gelesen und die Weisheiten von Konfuzius für "unerträgliches Geplappere" gehalten, dann aber in seiner Vorlesung über Geographie von Konfuzius als den chinesischen Sokrates gesprochen. Indirekt hatte er sich jedoch mit Konfuzius befasst, weil er den von Konfuzius bewegten Philosophen Christian Wolff und dessen Ansichten über selbstständiges Pflichtgefühl kritisierte und eine eigene "Metaphysik der Sitten" und eine "Kritik der praktischen Vernunft" schrieb. Christian Wolff verlor damals seinen Lehrstuhl an der Universität und Kant behielt seinen. Arthur Schopenhauer hielt es auch metaphysisch, war aber nur von indischer Metaphysik begeistert. Von Konfuzius, der ohne jede Metaphysik ausgekommen war, zeigte er sich wie Kant gelangweilt - Einstieg in Schopenhauers Welt - mehr.
Kant hatte gelesen:
Pierre Sonnerat, "Reise nach Ostindien und China in den Jahren 1774-1781", Zürich 1783
Über Kant und China:
Helmut von Glasenapp, "Kant und die Religionen des Ostens", Kitzingen a.M 1954, dort zu Konfuzius: S. 83-106
Über Christian Wolff und China:
Christian Wolffs "Sittenlehre der Sineser" (1721) oder vom wahren philosophischen Erkennen zum rechten moralischen und politischen Handeln, in: E. Donnert (Hg.): Europa in der frühen Neuzeit, Festschrift für Günther Mühlpfort, Köln/Weimar/Wien 1997.
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Wilhelm Busch hatte gegen Kants kritische Darstellungen der möglichen Verstandestätigkeit nichts einzuwenden. Den Lehren des Konfuzius folgte er nicht, aber er war mal interessiert an chinesischer Literatur. Wilhelm Busch machte einen Unterschied zwischen dem Nichtwollen-Lernen und dem Nicht-Lernen-Wollen und hatte mindestens eine waches Auge für deutsche Schüler. Und das zeigte er, als er den Lehrer Lämpel zeichnete und den geneigten Lesern eine witzige Geschichte von seinen Schülern Max und Moritz erzählte - einen Streich. - mehr - mehr -

Wilhelm Busch - Gedenkstätte
in Mechtshausen

 

 


Arthur Schopenhauer
mit seinem Pudel,
Zeichnung von Wilhelm Busch

 

Denn Max und Moritz wollen nicht lernen.

Und ihr Schöpfer Wilhelm Busch nagte an einem Mysterium: Wie kann man das asiatische Nichtwollen lernen, wenn man nicht lernen will? Und wie kann man hier überhaupt unterrichten? Konfuzius, sagte Zhang Qizhi in seinem Vortrag, war der erste Lehrer in China.

Nun zuerst der historische Brief von 1875, dann der Streich (alte Rechtschreibung, Hervorhebungen von mir):

- Quelle - mehr

Wolfenbüttel, 25. Mai 75.

Liebe Frau Anderson! Gewißheit giebt allein die Mathematik. Aber leider streift sie nur den Oberrock der Dinge. Wer je ein gründliches Erstaunen über die Welt empfunden, will mehr. Er philosophirt - und was er auch sagen mag - er glaubt. - In meinem elften Jahr verblüffte mich der Widerspruch zwischen der All-wissenheit Gottes und dem freien Willen des Menschen; mit 15 Jahren zweifelte ich am ganzen Katechismus. Seit ich Kant in die Hände kriegte, scheint mir die Idealität von Zeit und Raum ein unwiderstehliches Axiom. Ich sehe die Glieder der Kette in Eins: Kinder, Eltern, Völker, Thiere, Pflanzen und Steine. Und Alle seh ich sie von einer Kraft erfüllt.

Sind Berge, Wellen, Lüfte nicht ein Stück von mir? etc.

Drum gefällt mir Byron so sehr. Wie könnte uns auch das Zeug nur so bedeutungsvoll erscheinen, wenn alles nicht aus einer Wurzel wüchse? Die ist, was Schopenhauer den Willen nennt: der allgegenwärtige Drang zum Leben; überall derselbe, der einzige; im Himmel und auf Erden: in Felsen, Wasser, Sternen, Schweinen, wie in unserer Brust. Er schafft und füllt und drängt, was ist. Im Oberstübchen sitzt der Intellekt und schaut dem Treiben zu. Er sagt zum Willen: ,,Alter! laß das sein! Es giebt Verdruß!" Aber er hört nicht. Enttäuschung; kurze Lust und lange Sorge; Alter, Krankheit, Tod, sie machen ihn nicht mürbe; er macht so fort. Und treibt er ihn auch tausend Mal aus seiner Haut, er findet eine neue, die's büßen muß. - Und dieser Wille, das bin ich. Ich bin mein Vater, meine Mutter, ich bin Sie und Alles. Darum giebt es Mitleid, darum giebt's Gerechtigkeit.

Natur und Lehre sind verschieden, Natur ist stärker als die Lehre - sagen Sie. Natürlich und gewiß! Der Wille ist der Starke, Böse, Wirkungs-volle, Erste; der Intellekt ist No. 2. - Nichtwollen, Ruhe wär' das Beste. - Wie soll das kommen? - Da steckt's Mysterium.

Bin ich nun deutlich? - Seien Sie gut und brav und liebenswürdig und sagen Sie: Jawohl!

Ihr Wilh. Busch.

 

Und der Streich - der folgt sogleich:

Max & Moritz - Vierter Streich

 

 

Also lautet ein Beschluß:
Daß der Mensch was lernen muß.
Nicht allein das Abc
Bringt den Menschen in die Höh’,
Nicht allein im Schreiben,
Lesen Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen;
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muß man mit Vergnügen hören.
Daß dies mit Verstand geschah
War Herr Lehrer Lämpel da.–


 

Max und Moritz, diese beiden,
Mochten ihn darum nicht leiden.
Denn wer böse Streiche macht,
Gibt nicht auf den Lehrer acht.
Nun war dieser brave Lehrer
Von dem Tobak ein Verehrer,
Was man ohne alle Frage
Nach des Tages Müh und Plage
Einem guten, alten Mann
Auch von Herzen gönnen kann.

 


Max und Moritz, unverdrossen,
Sinnen aber schon auf Possen,
Ob vermittelst seiner Pfeifen
Dieser Mann nicht anzugreifen.
Einstens, als es Sonntag wieder
Und Herr Lämpel brav und bieder
In der Kirche mit Gefühle
Saß vor seinem Orgelspiele,
Schlichen sich die bösen Buben
In sein Haus und seine Stuben,
Wo die Meerschaumpfeife stand;
Max hält sie in seiner Hand;
Aber Moritz aus der Tasche
Zieht die Flintenpulverflasche,
Und geschwinde – stopf, stopf, stopf!
Pulver in den Pfeifenkopf.

 
 

Jetzt nur still und schnell nach Haus,
Denn schon ist die Kirche aus!
Eben schließt in sanfter Ruh
Lämpel seine Kirche zu;
Und mit Buch und Notenheften,
Nach besorgten Amtsgeschäften,
Lenkt er freudig seine Schritte
Zu der heimatlichen Hütte,
Und voll Dankbarkeit sodann
Zündet er sein Pfeifchen an.


     
 

"Ach!" spricht er, "die größte Freud’
Ist doch die Zufriedenheit!"

 

Rums, da geht die Pfeife los
Mit Getöse, schrecklich groß!
Kaffeetopf und Wasserglas,
Tabaksdose, Tintenfaß,
Ofen, Tisch und Sorgensitz –
Alles fliegt im Pulverblitz.

 

Als der Dampf sich nun erhob,
Sieht man Lämpel, der – gottlob! –
Lebend auf dem Rücken liegt;
Doch er hat was abgekriegt.

 


Nase, Hand, Gesicht und Ohren
Sind so schwarz als wie die Mohren,
Und des Haares letzter Schopf
Ist verbrannt bis auf den Kopf.

 


Wer soll nun die Kinder lehren
Und die Wissenschaft vermehren
Wer soll nun für Lämpel leiten
Seine Amtestätigkeiten?
Woraus soll der Lehrer rauchen,
Wenn die Pfeife nicht zu brauchen?
Mit der Zeit wird alles heil,
Nur die Pfeife hat ihr Teil.

     

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