Im Osten im Westen

   

Paul Carus wollte buddhistische Lehren verwestlichen

 

 

 

Unser Vorwort: Gesellschaftliche Herkunft und Herkunft der Gesellschaft.

Paul Carus war Akademiker, Lehrer, Schriftsteller, Publizist und Autodidakt. Während aber der von ihm verehrte Philosoph Immanuel Kant seiner Stadt treu geblieben war (wie auch Sokrates), wanderte Paul Carus in die USA aus und engagierte sich für eine Verwestlichung des Buddhismus. Es scheint, als ob jedoch westlicher Lehrerberuf und Metaphysik treu zusammenkleben. Paul Carus widmete sich in den USA Buddha, den er ebenfalls als Lehrer auffasste.

Doch auch Konfuzius, der ohne Metaphysik ausgekommen war, wurde von Paul Carus geachtet. Carus schrieb früh über Konfuzius im Zusammenhang mit dem chinesischen Denken und spät einen Theatertext für die Popularisierung konfuzianischer Gedanken.
Aber Carus lebte nicht konfuzianisch. Während es Konfuzius um die menschliche Selbstkultivierung ging und um die konkrete Integration des Lernenden - und Lehrenden - in die Gemeinschaft, wählte Paul Carus überhaupt eine andere Gemeinschaft, verließ seine Heimat Deutschland und wanderte aus. Er ging noch weiter nach Westen, zunächst nach England, dann in die USA. Konfuzius hatte ebenfalls seine engere Heimat verlassen - aber nicht China - und war auf eine lange Wanderschaft gegangen.

Die Frage, die wir nun stellen wollen, ist: Was ist Verwestlichung überhaupt?
Zhang Quizhi hat in seinem Vortrag nirgendwo von einer Verwestlichung gesprochen, sondern von Harmonie ohne Identität. Meint Zhang Quizhi damit, dass ein Import oder ein Export ohne Veränderung möglich ist? Und bedeutet das für Paul Carus, dass eine Verwestlichung von Östlichem im Westen eine demütige Art der Kolonialisierung ist - sozusagen eine Selbst-Kolonialisierung? Und kann man das überhaupt "Lernen" nennen? Oder bedeutet Verwestlichung eine westliche Interpretation und Umdeutung von Östlichem - etwa des Buddhismus? Und bedeutet das zuletzt, dass man Konfuzius nicht verwestlichen kann?

Versöhnung:
Konfuzius bringt Laotse
das Kind Buddha
(18. Jahrhundert)

In den USA ist das Problem des kontextbezogenen "Verstehens" und "Übersetzens" von Literatur bekannt und wird bis heute diskutiert. In dem anfangs von Paul Carus betreuten Verlag The Open Court sind bis heute Beiträge und Ergebnisse dieser Kontroverse veröffentlicht worden - zum Beispiel von Willard V. O. Quine (Schüler: Hao Wang). Bei Quine wird zum Beispiel schneidend klar, dass Ausdeutungen von Aussagen (das können auch Lehren sein) im Zusamenhang ihrer logischen und literarischen Umgebung stattfinden müssen, wo diese Aussagen ihre Referenz bekommen. Hunderprozentige Übersetzungen gibt es seiner Auffassung nach gar nicht, sondern nur unbestimmte Übersetzungen. Wenn hundertprozentige Übereinstimmungen behauptet werden, dann sind sie willkürliche Konstruktionen. Mathematische Aussagen sind deswegen reine Konstruktionen mit innerer Logik ohne empirische Referenz. Und diese Willkür der identischen Übereinstimmung (Synonyme) widerspricht ja auch ganz und gar dem von Zhang Quizhi vorgetragenen Gedanken der Harmonie ohne Identität - nicht wahr?

Carus selbst veröffentlichte mit der Unterstützung eines buddhistischen Mönchs das Buch Tao Te King von Laotse in den USA und sprach dabei von "Transliteration" und nicht von "Translation". Eine ausführliche Diskussion mit dem original amerikanischen Pragmatismus und der Sprachphilosophie überhaupt fand damals in der von Carus herausgegebenen Zeitschrift The Monist statt.
Von Konfuzius selbst sind keine originalen Texte zu bekommen. Was es gibt, sind historische Überlieferungen. Jedoch kann man besonders beachten, dass Konfuzius will, dass das, was gelernt wird, sich praktisch zeigen muss. Wenn also überhaupt das, was vom Osten - oder auch im Osten - gelernt wird, "verwestlicht" wird, so zeigt sich das durch die Praxis (Quine hätte gesagt: "empirisch"). Und dazu braucht es wenig Worte und noch weniger Literatur. Konfuzius wollte Vorbildlichkeit und Offenbarung - also Stil. Das ist natürliche Deutlichkeit jenseits bloßer logischer Semantik.

Zhang Qizhi sagt in seinem Vortrag, dass Konfuzius für jeden da war - und ist. Und schon innerhalb seines chinesischen Lebensraumes machte Konfuzius zu seiner Zeit keinen Unterschied zwischen seinen Schülern in Hinsicht auf die gesellschaftliche Herkunft. Kann man diese Einstellung jetzt erweitern und im Prinzip auch vermuten, dass man keinen Unterschied machen braucht, aus welcher Gesellschaft der Schüler überhaupt kommt?

Wenn es bei Konfuzius schon heißt, dass das Lernen kein Ziel hat, dann heißt das nicht nur, dass das Lernen auch keine Herkunft hat. Es heißt auch, dass der Schüler durch sein Verhalten darüber entscheidet, wie er anwendet, was er gelernt hat - also auch wo er es anwendet und wann. Es geht um Harmonie ohne Identität - um eine Harmonie der Gesellschaften möglicherweise. Wenn die Gesellschaften überhaupt harmonieren wollen...

Paul Carus verließ damals Deutschland wegen der militaristischen Grundhaltung seiner Heimat. Er bekam keine Luft mehr. Er wechselte möglicherweise in eine andere "Umwelt-Metaphysik".

 

Link zu einer für das Internet optimierten PDF-Version seines Artikels "Chinese Philosophy", erschienen in The Monist 1895

- online -

 

Kurze Vita von Paul Carus mit ausgewählten Literaturangaben
(Thema: Kant, China, Lehrer): - Quelle - shopping - shopping

1876 Promotion in Tübingen, Carus ist Anhänger der Philosophie Immanuel Kants

Lehrer an der Militärakademie in Dresden

Emigration nach England

1881 Carus, Paul: Metaphysik in Wissenschaft, Ethik und Religion: eine philosophische Untersuchung. - Dresden, 1881. - 64 S.

1882 Carus, Paul: Lieder eines Buddhisten. - Dresden, 1882. - 60 S.

1883 Carus, Paul: Ursache, Grund und Zweck: eine philosophische Untersuchung zur Klärung der Begriffe. - Dresden, 1883

Emigration in die USA

1885 Carus, Paul: Monism and meliorism, a philosophical essay on causality and ethics. - New York: F.W. Christern, 1885. - 83 p.

1887 The Open Court: a monthly magazine. - Chicago 1/1887 - (Hrsg.: Paul Carus) - ein Forum für amerikanische und asiatische Buddhisten. - mehr -
1890 The Monist. - Chicago. - 1.1890/91-46.1936 47.1962/63- (Hrsg. Paul Carus) - online - Paul Carus: "Chinese Philosophy"/pdf (1270 KB, Streaming, optimiert für schnelle Internetanzeige) - Hegeler-Carus-Mansion -

1894 Carus, Paul: The gospel of Buddha according to old records. - Chicago: The Open Court Publishing Company, 1894. - xiv, 275 p. 21 cm. Deutsche Übersetzung: 1895. Chinesische Übersetzung: 1983 - online USA -

Buddha wird als Lehrer aufgefasst! - Illustration von Olga Kopetzky -

1897 Carus, Paul: Buddhism and its Christian critics. - Chicago: The Open Court Publishing Co., 1897. - 316 pp.

1898 Lao-tzu: Lao-Tze's Tao-Teh-king, Chinese-English / with introduction, transliteration, and notes by Dr. Paul Carus. Chicago: The Open Court Publishing Co.; London: K. Paul, Trench, Truebner, 1898. - Description: xxxiii, 345 p.

1898 Carus wird Ehrenmitglied der Maha Bodhi Society - online - mehr -

1898 Carus, Paul: Chinese philosophy : an exposition of the main characteristic features of Chinese thought. - Chicago : Open Court Publishing Co., 1898. - 64 p.

1899 Carus, Paul: Kant and Spencer; a study of the fallacies of agnosticism. - Chicago, The Open Court Publishing Co., 1899. - 1 p. l., 105 p.

1902 Kant, Immanuel (1724-1804): Kant's Prolegomena to any future metaphysics / edited in English by Dr. Paul Carus...with an essay on Kant's philosophy, and other supplementary material for the study of Kant. - Chicago: The Open Court Publishing Co, 1902. - V p., 2 l., 301 p.

1903 Lao-tzu: The canon of reason and virtue being Lao-tze's Tao teh king / Chinese and English by Paul Carus. - Chicago: The Open Court Publishing Co, 1903. - iv p., 1 l.,[95]-138 p.

1903 Carus, Paul: The surd of metaphysics; an inquiry into the question Are there things-in-themselves? - Chicago: The Open Court Publishing Co.; London: K. Paul, Trench, Truebner & Company, ltd., 1903. - vi, 233 p.

1906 Yin chih wen : the tract of the quiet way, with extracts from the Chinese commentary / translated from the Chinese by Teitaro Suzuki and Dr. Paul Carus; edited by Dr. Paul Carus. Chicago: The Open Court Publishing Co., 1906. - 48 p.

1906 T'ai-shang kan-ying p'ien = Treatise of the exalted one on response and retribution / translated from the Chinese by Teitaro Suzuki and Paul Carus, containing introduction, Chinese text, verbatim translation, translation, explanatory noteand moral tales; edited by Paul Carus - Chicago, Ill.: Open Court Publishing Co., 1906. - 139 p.

1907 Carus, Paul: Chinese life and customs / by Paul Carus; illustrated by Chinese artists. - Chicago: The Open Court Publishing Co., 1907. - vi p., 2 l., 114 p.

1907 Carus, Paul: Chinese thought: an exposition of the main characteristic features of the Chinese world-conception. - Chicago: Open Court, 1907. - 195 p. (Fortsetzung seines Essays "Chinese Philosophy")

1908 Carus, Paul: The foundations of mathematics; a contribution to the philosophy of geometry. - Chicago: The Open Court Publishing Co., 1908. - iv, 141 p.

1909 The Nestorian monument : an ancient record of Christianity in China, with special reference to the expedition of Frits v. Holm / ed. by Dr. Paul Carus. Containing: Mr. Holm's account of how the replica was procured, the original Chinese text of the inscription, A. Wylie's English translation, and historical notes on the Nestorians. - Chicago : The Open Court Publishing Co., 1909. - 42 p. (1625 wurde südwestlich der alten Kaiserstadt Xian bei Ausgrabungen ein Denkmal in Form einer Steintafel freigelegt, das dort zur Zeit der Tang-Dynastie im Jahr 781 errichtet worden war. - mehr - Info - Info - Info Jaduland - mehr Jaduland zu China - Bild - Bild - Bild - )

1910 Carus tritt der Deutschen Pâligesellschaft (DPG) bei. - mehr - Pali -

1915 Carus, Paul: K'ung Fu Tze: a dramatic poem. - London, Chicago: The Open Court Publishing Co., 1915. - 1 p. l., [5]-72 p.

1919 Paul Carus stirbt.

 

Links:

Willard Van Orman Quine: - mehr - Bsp: Intentionalität / pdf (84 KB) / Quelle: - mehr Metaphysik/pdf - Holismus des Bedeutungsnetzes/pdf - Nachruf zum Lehrer der Grenze empirischer Unterscheidung -

Hao Wang: - Bsp: Penrose-Muster - Bsp: konstruierte Metasprachen -

Stichwort Metaphysik: - Bsp: Barry Smith/The Monist Editor / Biomedical Ontology/Environmental Metaphysics -

USA: - Confucius - Analects - Flash Gordon/Kaiser Ming - Charlie Chan -